»Zur Weihnachtszeit« von Achim von Arnim



Was leuchtet durch die Nacht so helle
Und weckt das Haus mit heilgem Graus?
Ein Kind tritt aus des Himmels Schwelle
Und klopft an's ird'sche Lebenshaus.

Wer hat die Tür so fest verschlossen,
Dass es so lange harren muss?
Das Kindlein klopfet unverdrossen
Der Mutter scheint's ein Todesgruss.

Mit Schmerz und Tod hat sie gerungen
Weil ihr das Kind verloren schien,
Und unverhofft ist's eingedrungen,
Sie sieht in ihm ihr Leben blühn.

Ja, wo ein Kind der Welt geboren,
Da scheint die Nacht wie Tag so klar,
Die Nachbarn grüssen an den Toren,
Als finge an ein neues Jahr.

Nur Hirten kennen ganz den Segen,
Der durch Geburt die Welt erneut,
Wenn sie das Lamm zur Mutter legen,
Die Mutter sich am Anblick freut.

Der Anfang lag im Ew'gen Geiste,
Im Menschenwillen lag er nicht,
Und wie der Hochmut sich erdreiste,
So bildet Kunst kein Angesicht.

Ein jedes Kind ist neuerfunden
Und überrascht das Mutteraug',
Verborgne Zukunft wird entbunden
In seinem ersten Lebenshauch.

Die Mutter freut sich nun der Erde,
Von der sie schon der Schmerz erhob,
Und schnell vergessen ist Beschwerde
In dieser Schöpfung erstem Lob.

Es fliessen ihre Wonnezähren,
Sie tritt zurück ins Paradies,
Das Weib wird selig durch Gebären
Und die Erlösung ist so süss.

Doch Keine, die nicht ist geweihet
Durch Gottes Geist, durch Engelgruss,
Erträgt, was heut Maria freuet
In ihres Kindes erstem Kuss:

Was Hirten Engeln nachgesungen,
Was himmlisch ihr verkündet ist,
Dass sie von Gottes Geist durchdrungen,
Und dass ihr Kind der heilge Christ.

In Freudentaumel würde brechen
Das stärkste Herz in Weibesbrust,
Wenn Engel aus dem Himmel sprechen,
Dein Kind ist Gott, des Himmels Lust.

Nur eine Jungfrau kann's ertragen,
Der ird'sche Lust noch unbewusst,
Dass diese Weihe heilger Sagen
Jetzt ruht an ihrer keuschen Brust.

Maria selbst muss sich in Sorgen
Zerstreun beim heilgen Kind im Stall,
Dass sie erträgt den freudgen Morgen,
Sie winket still dem Hirtenschall.

Sie winkt, dass sie ihr Kind nicht wecken
Mit ihrem Jubel auf der Flur,
Sie muss das Kind im Frost zudecken,
Den Frühling menschlicher Natur.

Es kann die Welt noch nicht erlösen
Von ihres Winters harter Zeit,
Sie dient noch neben ihm dem Bösen,
Zur Prüfung dient ihr noch der Streit;

Und alle Weisen werden kommen
Und bieten ihm Geschenke dar
Und haben doch noch nicht vernommen,
Was dieses Kind urewig war.

Allmählich wird die Welt sich stärken
Zu schaun sein göttlich Angesicht,
Wenn sich in treuer Liebe Werken
Das Auge weiht dem neuen Licht.

Doch keiner kann voraus verkünden
Wann diese Welt dem Ewgen reift,
Wann Er von Tugenden und Sünden
Mit Richterhand die Hülle streift.

Wer wagt von uns mit irdschen Ohren
Zu hören dieses Tags Gebot,
Wenn aus den hohen Himmelstoren
Vernichtung unsrer Erde droht,

Wenn ewger Frühling dort geboren,
Und hier des Winters ewges Reich,
Und die erkoren, die verloren
Sich scheiden für die Ewigkeit.

»Zur Weihnachtszeit« von Achim von Arnim

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