»Die Welt ist weit« von Ingeborg Bachmann


Die Welt ist weit und die Wege von Land zu Land,
und der Orte sind viele, ich habe alle gekannt,
ich habe von allen Türmen Städte gesehen,
die Menschen, die kommen werden und die schon gehen.
Weit waren die Felder von Sonne und Schnee,
zwischen Schienen und Straßen, zwischen Berg und See.
Und der Mund der Welt war weit und voll Stimmen an meinem Ohr
und schrieb, noch des Nachts, die Gesänge der Vielfalt vor.
Den Wein aus fünf Bechern trank ich in einem Zuge aus,
mein nasses Haar trocknen vier Winde in ihrem wechselnden Haus.

Die Fahrt ist zu Ende,
doch ich bin mit nichts zu Ende gekommen,
jeder Ort hat ein Stück von meinem Lieben genommen,
jedes Licht hat mir ein Aug verbrannt,
in jedem Schatten zerriß mein Gewand.

Die Fahrt ist zu Ende.
Noch bin ich mit jeder Ferne verkettet,
doch kein Vogel hat mich über die Grenzen gerettet,
kein Wasser, das in die Mündung zieht,
treibt mein Gesicht, das nach unten sieht,
treibt meinen Schlaf, der nicht wandern will ...
Ich weiß die Welt näher und still.

Hinter der Welt wird ein Baum stehen
Mit Blättern aus Wolken und einer Krone aus Blau.
In seine Rinde aus rotem Sonnenband
Schneidet der Wind unser Herz
und kühlt es mit Tau.

Hinter der Welt wird ein Baum stehen,
eine Frucht in den Wipfeln,
mit einer Schale aus Gold,
Laß uns hinübersehen,
wenn sie im Herbst der Zeit
in Gottes Hände rollt!

»Die Welt ist weit« von Ingeborg Bachmann


Recht eindrücklich beschreibt die Lyrikerin ihr Leben im Spiegel der Ewigkeit.

In ihrem Gedicht »Die Welt ist weit« spricht Ingeborg Bachmann von ihrer eigenen Lebensenttäuschung So groß, so vielversprechend erschien die Welt am Anfang, doch jetzt fragt sie sich: Wo bin ich denn angekommen?“

Am Ende des Gedichtes wird der Tonfall melodramatisch.

Weblink:

Hinter der Welt wird ein Baum stehen (Archiv) - www.deutschlandfunkkultur.de

Video:

Ingeborg Bachmann „Die Welt ist weit" - Youtube

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